Schweizerischer Bundesanwalt
2012 – 2020
Im Jahr 2012 wählte mich die vereinigte Bundesversammlung zum Bundesanwalt und damit zum Leiter einer Behörde, die neu nicht mehr der Regierung zugeteilt war, sondern rechtlich eigenständig wurde. In den Jahren davor war die Bundesanwaltschaft heftigen Turbulenzen ausgesetzt. Mit meiner Wahl waren daher viele Auf- und Umbauarbeiten verbunden. Die Bundesanwaltschaft musste organisatorisch neu aufgestellt werden. Gleichzeitig musste sie der Kritik begegnen, ihre Verfahren würden viel zu lange dauern. Unter dem Leitgedanken «structure follows strategy» ging ich diesen Umbau schrittweise an. Gemeinsam legten wir ein Schwergewicht auf die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Während meiner Amtszeit blockierte die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit Strafverfahren zeitweise Vermögenswerte von über sieben Milliarden Schweizer Franken. Ich legte grossen Wert auf die internationale Zusammenarbeit und suchte nach neuen Lösungen im Unternehmensstrafrecht.
In diesem Zusammenhang sind vor allem die weltbekannten Verfahrenskomplexe Petrobras/Odebrecht, 1MDB, Gunvor, Usbekistan und Weltfussball zu erwähnen. Insbesondere diese Komplexe bedingten eine enge strategische und konzeptionell-taktische Kooperation mit den USA, Singapur, Luxemburg, Malaysia, Usbekistan, Frankreich, den Niederlanden, Hongkong, Zypern, Schweden, Südafrika, Russland, Brasilien und weiteren Staaten. Aus diesen Erfahrungen heraus stiess ich gesetzliche Änderungen an, die hin zu einem «Swiss Deferred Prosecution Agreement (DPA)» führen sollen.
Bei der Terrorismusbekämpfung gelang es uns erstmals in einem Verfahren, gemeinsam mit den USA im Rahmen eines «Joint Investigation Teams (JIT)» Informationen auszutauschen.
Neue Herausforderungen stellten sich in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen, insbesondere bei Cybercrime. Ich habe stets einen engen Austausch mit den interkantonalen Gremien gepflegt, etwa der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), und in Schlüsselfunktionen Digitalisierungsprojekte für die Justiz mitgeprägt.
Interkulturelle Herausforderungen stellten sich uns im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des sogenannten «Arabischen Frühlings» in der strategischen Fallbearbeitung mit Ägypten und Tunesien. Als Mitglied des Executive Committee (ExCo) der Internationalen Vereinigung der Staatsanwälte (IAP) setzte ich mich auf globaler Ebene für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Strafverfolgung, die Einhaltung der Grundsätze des Rechtsstaates und den Dialog mit der Zivilgesellschaft ein. Die Trennung der Bundesanwaltschaft von der Exekutive brachte es mit sich, dass ich die Schweiz gegenüber diversen ausländischen Justizministerinnen und -ministern vertreten durfte, die von Amtes wegen oberste Strafverfolgerinnen und Strafverfolger ihrer Regierungen waren.
Während meiner Amtszeit strebte ich gemeinsam mit dem Schweizerischen Anwaltsverband (SAV) und kantonalen Berufsverbänden die Erarbeitung eines «Code of Conduct» an.
Gegen Ende meiner zweiten Amtsperiode und vor allem nach meiner zweiten Wiederwahl im Jahr 2020 wurden im Zusammenhang mit dem Verfahrenskomplex Weltfussball von dritter Seite Vorwürfe gegen meine Amtsführung und meine persönliche Integrität erhoben, deren mediale und politische Ausschlachtung mir schliesslich eine seriöse Weiterführung meines Amtes verunmöglichte und mich dazu bewog, mein Amt niederzulegen. Rückblickend hätte mich deren Heftigkeit nicht überraschen sollen. Denn einerseits wird das Amt des Bundesanwalts, der Bundesanwältin, in der Schweiz tendenziell überhöht – Kritik an der Person und deren Amtsführung erhält entsprechend grosse Resonanz – andererseits schafft man sich als oberster Strafverfolger insbesondere in Wirtschaftsdelikten über die Jahre hinweg viele einflussreiche Feinde.
Die mit den genannten Vorwürfen verbundenen Untersuchungen gegen mich wurden im Jahr 2023 allesamt eingestellt. Es liegt in der Natur der Gesetze der Berichterstattung, dass die Einstellung dieses Verfahrens unvergleichbar weniger Raum eingenommen hat als die ursprünglichen haltlosen Anschuldigungen. Was mir aus dieser Zeit bleibt, ist ein praktisches Wissen von unschätzbarem Wert über die Rolle von Medien und Politik gegenüber Institutionen und in strafrechtlichen Verfahren.
Publikationen
Kurzer Prozess, zu kurzer Prozess – im Wirtschaftsstrafverfahren, 10. Schweizerische Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht, JÜRG-BEAT ACKERMANN / MARIANNE JOHANNA HILF (Herausgeber), Europa Institut Zürich, Band 191, S. 7, Zürich/Basel/Genf 2019.
ISBN-9783725578795
Aufgabenverteilung zwi- schen Bund und Kantonen; in: Kriminalität, Strafrecht und Föderalismus, DANIEL FINK / JÖRG ARNOLD / FRANÇOISE GENILLOD-VILLARD / NIKLAUS OBERHOLZER (Herausgeber), Schweizeri- sche Arbeitsgruppe für Kriminologie (SAK), Band 36, S. 179, Bern 2019.
Unabhängigkeit, Aufsicht und Weisung, forumpoenale, Sonderheft 1 / Oktober 2018, S. 361 ff.
https://forumpoenale.recht.ch/de/hefte/2018?ausgabe=Sondernummer
Erörtert am Beispiel der Bundesanwaltschaft; in: Herausforderungen für die Schweiz und Europa, Re- ferate zu Fragen der Zukunft Europas 2015, ANDREAS KELLERHALS (Herausgeber), Europa Institut Zürich, Band 174, S. 165, Zürich/Basel/Genf 2016.
TOP SECRET – Geheimnisschutz und Spionage, 8. Schweizerische Tagung zum Wirtschaftsstraf- recht, JÜRG-BEAT ACKERMANN / MARIANNE JOHANNA HILF (Herausgeber), Europa Institut Zü- rich, Band 157, S. 9, Zürich/Basel/Genf 2015.
Die Banken im Fokus der Straf- verfolgungsbehörden; in: Banken zwischen Strafrecht und Aufsichtsrecht, SUSAN EMMENEG- GER (Herausgeberin), Institut für Bankrecht Universität Bern, S. 1, Basel 2014.
https://www.helbing.ch/detail/ISBN-9783719035792/Banken-zwischen-Strafrecht-und-Aufsichtsrecht
Giurisdizione penale federale, Da dieci anni all’ombra dei castelli, Atti della giornata di studio del 24 ottobre 2014, S. 33, Commissione ticinese per la formazione permanente dei giuristi (CGPG), Band 53 (Collana rossa), Lugano 2016.
https://www.helbing.ch/detail/ISBN-9783719038441/Giurisdizione-penale-federale
Blanchiment d’argent: actualité et perspectives suisses et internationales, ISABELLE AUGSBURGER-BUCHELI (Herausgeberin), Les actes de l’ILCE, Institut de lutte contre la criminalité économique, Haute école de gestion Arc, Neuchâtel, Suisse, S. 19, Genf/Zürich/ Basel 2014.
ISBN-9783725570157
Anwaltsrevue 8 / 2013, S. 318 ff.